Dienstag, 10. Mai 2016

Der Glaube an das Gute an der Menschheit ist jedes Menschen Recht

"Im Internet kursiert", wie man so zu sagen pflegt, derzeit ein Video, das in einem zehnminütigen Zusammenschnitt ein "Best of Hofer" darbietet.
Anfangs wollte ich es erst gar nicht sehen. Ich habe schon genug Informationen, wie ich neulich auch einem Hoferwerber antwortete. Jetzt hab ich den Minifilm doch angeschaut.
Und ich werde ihn meinem Kind nicht zeigen. Ich würde ihn eher nichtjugendfreie Horrorfilme schauen lassen (was ich nicht tue, auch wenn er den Unterschied zur Realität kennt und weiß wie Filme funktionieren) als dieses Kondensat an Verschrecklichkeiten. Ich will nicht, dass er sich ernsthaft Sorgen um unser Heimatland, unseren Kontinent, die Zukunft, die Menschen macht. Ich will nicht, dass er sich Gedanken darüber macht, wie bösartig überheblich, verschlagen, menschenfeindlich und gefährlich verdreht Leute sein können und warum sie so sind und wie sie so werden. Ich will nicht, dass er das Vertrauen und den Glauben an die Menschheit und das Gute, das sie hervorbringt, verliert.
"Er ist ein so unglaublich lebensfrohes Kind!", wurde mir in einem Gespräch mit seiner Kindergartenpädagogin gesagt.
Ich will nicht, dass es ihm ernsthaft graut. Er hat schon genug Informationen.

https://www.youtube.com/watch?v=TzVpxh0ZVlM

Freitag, 29. April 2016

Du bist politisch, oder?

Bin ich das? Und wie komm ich dazu?

Als kleines Kind der Siebziger war ich indirekt mit dem Tages- und Weltgeschehen konfrontiert, ohne mir noch groß einen Reim darauf machen zu können. Kleine Details, die mich damals auf eine seltsame Art faszinierten, mir als wichtig, als "komische Erwachsenensache" auffielen und sich mir erst später erklärten.
Die Plakate in den Polizeiwachstuben mit den Schwarzweißportraits gesuchter (RAF) TerroristInnen.
Die kleinen runden Löcher in den Fassaden unrenovierter Altbauten.
Die fehlenden Extremitäten älterer Männer (als kleines Kind war ich tatsächlich davon überzeugt, dass dies einfach mit Männern geschieht wenn sie alt werden: Denen fehlt dann halt ein Arm oder ein Bein).
Die Buchstaben auf den Autos (Überbleibsel von den Autofreien Tagen 1974; damals wechselte man seine Autos noch nicht wie die Balkonblumen).
Ich verstand das alles noch nicht. Ich war noch zu jung, um Zusammenhänge und Hintergründe erklärt zu bekommen. Es fiel mir nur auf. Und ich speicherte meine Beobachtungen ab.

Dann lernte ich im Kindergartenalter lesen. Ich war wissbegierig, bzw. neugierig, bzw. ein anstrengendes Kind. Ich wollte nicht ausgeschlossen sein von all dem, was Die Erwachsenen so redeten und lasen und wussten.
Ich lernte lesen, indem ich meiner Mutter auf die Nerven ging. Ich lernte mit Der Presse lesen. Warum ich das so genau weiß? Weil ich ein verwünschtes Gedächtnis habe (das allerdings leider Zahlen ausschließt). Mama, was ist das für ein Buchstabe? - Ein Peh. Das war das große blaue P von "Presse". Meine Mutter kann sich nicht mehr daran erinnern. Ich schon. Mama was steht da. Mama was heißt das. Mama wer ist das. Mama was macht der. Es wird erzählt, eines meiner ersten Worte wäre gewesen "wajum".

"Politisierten" meine Eltern zu Hause? Selten, und mäßig. Manchmal kam des Vaters Studentenzeit zur Sprache. Die Te-Uh. Die Öhah. Ich wusste, dass mein Vater bei einem Zefau war. Und "Die Schlagenden" kopfschüttelnd "Trottel" nannte. Und die ÖVP wählte. Ich merkte, dass meine Mutter nicht wählte wie er. Musste also SPÖ sein, denn viel mehr Anderes stand nicht zur Auswahl.
Mein Vater erzählte mir, Der Androsch und der Kreisky nehmen uns das Geld weg. Also fürchtete ich, in der dunklen Nacht würden Männer kommen und meine Knopfsammlung klauen. Aber sie kamen nicht. Also zweifelte ich an den Bedenken meines Vaters.
Irgendwann kam mein Vater mit Pickerln daher. Schön rund und gelb, mit einer grinsenden Sonne drauf. Die schenkte er mir. Ich durfte sie auf meinen Kasten kleben. "Atomkraft Nein Danke" stand drauf. Die Sonne gefiel mir. Das Wort "Zwentendorf" klang grauslich. Meinem Vater gefiel die mit den langen Haaren von den Schmetterlingen, und Joan Baez. Seit ich auf der Welt war, lief im Radio Ö3. Meine Mutter schaute im Fernsehen "Ohne Maulkorb". Auf dem Plattenspieler musste sie mir endlos Carmina Burana aufdrehen. Manchmal bat ich um Donmeklien, mit der schönen, düsteren Plattenhülle.

Als ich noch klein war, fragte ich die Großeltern mütterlicherseits nicht nach der Vergangenheit. Symptomatisch für ihre und meiner Eltern Generationen war, diese Zeit nicht anzusprechen. Nur manchmal zischte meiner Großmutter etwas wie "die Soundso, die oide Nazi" raus. Über meinen interessierten Blick wurde das Thema gewechselt. Stellte ich viele Fragen, meinte mein Großvater verschmitzt, Neugierige Nasen sterben bald. Ich erklärte umgehend, Aber dafür wissen sie viel. Er quittierte es mit einem wohlwollend lächelnden Nicken.
Mein Urgroßvater war Vizebürgermeister der Heimatstadt meiner Großeltern. "Sozi der allerersten Stunde". "Der Großvater" wurde gelegentlich erwähnt, wenn die Erwachsenen beim Omaopabesuch zusammensaßen. Ich horchte auf. Zum Geburtstag war Die Partei gekommen und hatte Blumen überreicht. Rote Nelken. Im Radio lief "Autofahrer Unterwegs". Sie hören nun die Glocken von Mariazell.
Die steinalte Urgroßtante väterlicherseits, die wir zu besuchen anfingen, erwähnte klagend immer wieder "die Russen, die da beim Fenster eingstiegen sind". Viel mehr Verwandte gab es von dieser Seite nicht mehr.

Später durfte ich mir den Fernseher selber aufdrehen. Ich war schon groß. Ich war schon in der Volksschule.
In den Ferien, oder wenn ich krank war. Ich lernte Russisch mit Lisa Schüller. Wir hatten zwei Kanäle in schwarzweiß. Ich fühlte mit Buster Keaton. Mir war nicht zum Lachen wenn ich ihm zuschaute. Ich hatte Tränen in den Augen, auch wenn Herberthappyprikopa meinte, das wäre jetzt aber lustig gewesen.
Und dann war da diese Sendung, sie war etwas dunkel, verwirrend und kompliziert. Die Affäre Dreyfus. Ich habe angestrengt versucht, ihr zu folgen und zu verstehen, worum es da ging. Es war keine Dokumentation, es wurde nichts erklärt. Ich tat mir ein bisschen schwer. Aber ich gab nicht auf. Ich verstand, was meine Eltern damit meinten: Dafür bist du noch zu klein, aber bitte, schaus halt an.
Und dann war da etwas Neues. Und es war so spannend. Es hieß "Österreich II". Und Hugo Portisch redete. Und zeigte. Und erklärte. Und ich saugte alles in mich auf. Wenn meine beste Freundin mich besuchen durfte, schauten wir gemeinsam. Ich schaute auch das "Panoptikum". Ein kleiner Blick in die große weite Welt, ohne das Internet, das es damals noch lange nicht gab.
Und ich setzte mich auch hin und verfolgte konzentriert das "Hohe Haus". Ich machte mir sogar Notizen. Und wunderte mich ein bisschen über das manchmal so gar nicht "erwachsene" Verhalten dieser Erwachsenen. Einer sagte etwas von "vor der eigenen Türe kehren".

Als ich ins Gymnasium kam, verlor ich meine beste Freundin aus den Augen. Im und für das Gymnasium gab es viel zu tun. Im Wohnzimmer, also beim Fernseher, hielt ich mich auch immer weniger auf. Ich versuchte, meinem Vater aus dem Weg zu gehen.
An der Schule gab es allerdings einen historischen Schwerpunkt. Plakatwände wurden aufgestellt und gestaltet. Referate wurden ausgearbeitet. Es war überall zu hören und zu lesen. Es war 1985. Es war ein besonderes Gedenkjahr.
War ich "politisch"? Nicht wissentlich. Der Sinowatz. Der Waldheim.
Ich sammelte in den Wiener Straßen Pflückgedichte. Ich fand sie interessant. Ich fand sie richtig. Ich stimmte ihnen zu. Ich fand sie äußerst aufschlussreich.

Zum Ende der Achtziger, der Vater war ausgezogen, wurde ich hellhöriger. Besetzte Häuser in Wien wurden geräumt. Gegen die Reichen beim Opernball wurde demonstriert. Ich kannte einige dieser Leute. Nicht die in den Ballroben. Ich fing wieder an, Tageszeitungen zu lesen. Ich verfolgte die Nachrichten. Jedes Stück Information zog seine Kreise. Jedes Puzzlestück fragte nach dem nächsten. Gorbatschow. Perestrojka. Glasnost. Solidarnosc. Honecker. Ich wurde überrascht von der Liveübertragung der Verhandlung und prompten Exekution der Ceausescus. Dem Mauerfall. Auf dem Volksstimmefest traf ich meinen Kunstprofessor. In Berlin, fuhr ich nach Oranienburg.

In meinem Kopf schwirrte die Kunst. Die Literatur. Das Studium. Die persönliche Orientierung. Wahlen hier, Wahlen da, Erwachsenwerden. Eine Reisepasshülle auf der in acht verschiedenen Sprachen steht, Ich habe diese Regierung nicht gewählt. Ich verwende sie noch immer, und bedaure, dass die Aufschrift mittlerweile ziemlich abgerieben und schwer lesbar ist.

Nicht lange bevor das Kind auf der Welt war, fuhr ich das erste Mal seit meiner Schulzeit wieder nach Mauthausen. Bewusst. Es heißt, ungeborene Kinder würden fühlen, was die Mutter fühlt. Werden diese Kinder denken, was ihre Mütter denken? Ich werde meinem Kind die Welt und die Menschen erklären. Ich werde seine Fragen beantworten. Ich werde es nicht traditionstaufen lassen. Ich werde es mit Menschen bekannt machen. Ich werde es mitnehmen. Zu Kundgebungen der Tibetergemeinschaft. Zu Feiern in der Friedenspagode. Zu den Bahnhöfen. Zu Kundgebungen für Menschenrechte, gegen Rechtsruck und Unmenschlichkeit. Ich werde ihm die Menschen und die Welt erklären.

Wahrscheinlich bin ich politisch. Vielleicht bestätigt das der Umstand, dass ich nicht nachvollziehen kann, wie man es nicht sein kann.

Dienstag, 26. April 2016

Es sind Menschen, die da hetzen.

Angesichts der erschütternden Wahlergebnisse werden nun Stimmen halblaut, die davor warnen, Wähler*innen der rechtspopulistischen Partei "ins rechte Ecke zu stellen" oder sie zu beschimpfen bzw. über deren statistisch aufgezeigtes niedriges Bildungsniveau zu spotten.

So weit so gut. Schimpfen und spotten ist nicht einmal Kindergartenniveau, denn wäre es das, bräuchten Pädagog*innen nur mehr das zu sein, was man nicht selten ohnehin bereits von ihnen annimmt: Aufsichtspersonen die eh nur spielen müssen.

Dass man sich aber zerfranst, den Mund fusslig redet und sich den Kopf über das Wie und Warum zerbricht, eben jenen Wähler*innen Aufklärungsdienste leisten zu wollen, sie verstehen zu müssen, soll nicht in einem christlich-abendländisch-wertevollem Dieanderebackehinhalten münden. Denn leider ist es zu oft genau so.

Wer die neun Pflichtschuljahre mehr desinteressiert als anwesend absitzt und danach keinerlei Interesse zeigt, sich in die Gesellschaft einzubringen und weder für die Allgemeinheit noch sich selbst Sorge zu tragen gewillt ist und dieses Bild erfolgreich seinen Nachkommen vorlebt; wessen Fachwissen sich allein auf Möglichkeiten der Unterstützungs- und Gratisleistungseinbringung beschränkt; in wessen Lebensanschauung hineininterpretiert wird, allein aus der Existenzangst, das Wenige auch noch verlieren zu können, zu agieren - das sind zu oft genau jene Personen, die jemandes intensiven Vollzeitjob mit über vierzig Wochenstunden und mittelmäßigem Gehalt mit einem "Dafür steh ich doch gar nicht erst auf" kommentieren; jene Personen, die jemand, der sich neben einem solchen Vollzeitberuf ehrenamtlich in der Freizeit engagiert, abfällig als "Gutmensch" titulieren; jene Menschen, die bar jeglicher Dankbarkeit (geschweige denn der Frage nach der Finanzierung solcher Programme) Familien(kur)urlaube, Wohnungseinrichtungen, Finanzspritzen, exklusive Kassenleistungen, Schulmaterialausstattungen, Zahlungserlässe, Vergünstigungen und Schenkungen annehmen, und als selbstverständlich annehmen.

Man könnte versucht sein, die Arme zu verschränken, sich zurückzulehnen und eben diese Personen in ihr eigenes Verderben hineinwählen zu lassen. Würden sie nämlich das Interesse und die Energie aufwenden sich genauer zu informieren, wem und was sie da eigentlich zustimmen, müsste ihnen dräuen, dass genau ihr Ast auf dem sie sitzen, vielleicht etwas später als früher, auf der logischen Absägeliste steht.
Warum lehnt man sich nun also nicht zurück, vor allem wenn man sich ausrechnen kann, dass die eigene Existenz weniger bedroht ist als die ihre?
Weil es manchen Leuten gegeben ist, Empathie zu empfinden.
Empathie und Sorge denen gegenüber, deren Existenz tatsächlich bedroht ist. Empathie und Sorge auch denen gegenüber, die ihr Energieventil nur darin finden können, verbal oder körperlich ausfällig zu werden.

Was antwortet man also einer solchen Person? Antwortet man ihr überhaupt? Blendet man sie besser aus? Versucht man sie zu bekehren und zu belehren? Verspürt man reines Mitleid? Resigniert man?

Mir persönlich liegt ein Satz auf der Zungenspitze.
"Ich kämpf da deinen Klassenkampf für dich, Oida!"

Damit werden viele nichts anfangen können.
Aber ich werde nicht damit aufhören.

Dienstag, 22. März 2016

Die Freiheit der Stadtluft ist anzweifelbar

Immer häufiger in letzter Zeit habe ich das Bedürfnis, der Hauptstadt zu entkommen und, wenn nur für einige Stunden, rauszukommen aus dem Betonunsumpf, der Reizgasüberflutung, dem Lärm der hirnzerreißenden Misstöne. Eine halbe Stunde oder Stunde mit dem Zug, hinaus, weg, und den Kopf frei machen von den sich aufzwingenden Gedanken.
In der Lobau war die Stadtgrenze nicht einmal überschritten, um die überschrittenen gesellschaftlichen Grenzen einmal aus dem überstrapazierten Kopf zu bekommen, um sich abseits der Trampelpfade zu bewegen. Und dort, wo der Kaiser einst luftkuren war, und alles idyllisch hübsch und zuckrig ist, in Baden bei Wien, lässt es sich leichter auf das Orientieren und Selektieren von Eindrücken konzentrieren, um sich kurz einmal zu dekonzentrieren.
Und dann kommt man am Bahnhof Traiskirchen vorbei. Und dann sieht man ein Zelt in der Donau-Au. Und es wird einem bewusst, dass man dennoch gerade, für eine kurze Weile nur, einmal nicht Gedanken gewälzt hat.
Um dauerhaft Output geben zu können, muss man ab und zu auch Input zulassen. Vor allem wenn man in einer solchen Großstadt lebt, in der man sehr schnell erwachsen werden und auch ständig so denken und handeln muss.

Montag, 15. Februar 2016

Wie es dazu kommen konnte. Ein unveröffentlichter Entwurf aus dem Februar 2016.

Die Fragen eines Jugendlichen an seine Großmutter.

- Wie konnte es eigentlich so weit kommen, hat man denn nicht bemerkt, was da vor sich ging?
* Das Volk war so mit den eigenen Problemen beschäftigt, die Arbeitslosigkeit war gestiegen, man war froh wenn die eigene kleine Welt so heil als möglich war und wollte keinem Elend Anderer begegnen oder es sehen.
(Bild Suche Arbeit/AMS)

- Warum war denn plötzlich alles so schwierig und schlimm, warum hat es nicht mehr funktioniert aber vorher schon?
* Durch den Börsenkrach und die Weltwirtschaftskrise ging alles den Bach runter, was sich vorher entwickelt hat. Es braucht nur eine Handvoll gieriger Spekulanten, und die Spirale dreht sich schneller und enger, und schon geht es abwärts und alles geht kaputt.
(Bild Börsenkrach 20er/2011)

- Aber was hat das mit den Menschen zu tun, die zu Opfern wurden? Das war doch nicht ihre Schuld?
* Natürlich war es nicht ihre Schuld. Aber wenn es generell schwierig wird, wird die eigene Misswirtschaft ungern zugegeben, und lieber ein Sündenbock, ein Feindbild gesucht. Dass das Volk bereits verunsichert ist, ist der ideale Nährboden dafür, Ängste zu schüren und leere Versprechen zu geben. Eine ganz perfide Strategie ist das, die leider nicht alle durchschauen.
(Bild Wandzeitung 30er/Titelseite Krone)

- Warum hat man gerade vor diesen Leuten Angst bekommen oder gemacht?
* Alles was anders ist, unbekannt ist, ist ungewohnt und unverständlich, bis man sich damit auseinandersetzt. Die Angst vor einer fremden Welt in der eigenen Welt, vor geheimen Vorgängen, davor dass man selbst verdrängt wird, ist biologisch verankert, auch wenn wir gesellschaftlich schon viel weiter entwickelt sein sollten.
(Bild Karikatur Juden/Moslems)

- Und in der Politik hat sich niemand dagegen gestellt? War das nicht ungesetzlich?
* Da die Politik sich mit dem Volk gutstellen wollte und nicht ins Hintertreffen geraten wollte, ist sie weicher und nachgiebiger gegenüber denen geworden, die massiv das Volk aufgestachelt haben. Und dann haben sie, wie beim Armdrücken, alle Kraft aufgewandt, und alles umgestoßen, mit einem aufgewiegelten, verblendeten Volk hinter sich. Und haben die Gesetze einfach für null und nichtig erklärt, bzw. neu geschrieben. Die Politik hat sich überrumpeln und klein kriegen lassen.
( https://de.m.wikipedia.org/wiki/Österreich_in_der_Zeit_des_Nationalsozialismus#Diktatur.2C_B.C3.BCrgerkrieg_und_Verbot_der_NSDAP )

- Und alle anderen Länder haben da einfach zugeschaut?
* Die Entwicklungen wurden natürlich besorgt beobachtet. Aber so lange es einem selbst nicht an den Kragen geht, mischt man sich nicht so schnell ein. Und wenn klassische Diplomatie und Gespräche versagen... Man schreitet natürlich erst ein, wenn die Bedrohung vor der eigenen Haustüre steht. Was oft schon zu spät ist.

- Ging es den Menschen wirklich so schlecht, dass sie sogar diesen neuen Politikern folgen wollten?
* Angst ist ein relevanter Faktor. Man will nicht verlieren was man hat, oder noch mehr verlieren, egal wie viel oder wenig man davor hatte oder hat, was ja immer relativ ist. Wenn man gesagt bekommt, Die sind schuld dran dass es so gekommen ist, und ohne unser Eingreifen werden sie noch mehr nehmen - da reagieren viele mit der automatischen Reaktion der irrationalen Panik und unterschreiben alles, zu ihrem eigenen Vorteil.

- Aber es hätte weiterhin für alle reichen können, vor allem wenn alle ein bisschen geteilt hätten?
* Es haben sicher viele geteilt und sind nicht auf die Angstmacherei hereingefallen. Nur wurden sie von den verhetzten Leuten beschimpft und bedroht, für das was sie gedacht oder getan haben. Viele wurden genau so verfolgt und angeklagt und attackiert wie die neuen Feindbilder.
(Bild Judenfreund/Bahnhofsklatscher)

- Es haben aber auch viele Menschen die armen Leute bei sich aufgenommen und verteidigt?
* Es gab tatsächlich mehr als man denkt, die den Verfolgten Unterkunft gegeben haben, sie aufgenommen haben, sie unterstützt haben. Was aber nicht einfach war, finanziell, bürokratisch, gesellschaftlich. Auch wenn es kein Problem war, weil es für sie selbstverständlich war, diesen Menschen zu helfen.
(Bild Anne Frank

- Warum hat man eigentlich gerade diese Menschen nicht gewollt?
* Man hatte Vorurteile gegen sie, man hörte Geschichten und Gerüchte die in die Welt gesetzt wurden, sie sahen vielleicht anders aus weil sie sich anders kleideten, aus anderen Gegenden kamen...

- Aber andere Kulturen kennenzulernen ist doch spannend! Es wäre doch fad ohne Sachen aus anderen Ländern.
* Ihre Geschäfte wurden boykottiert, es wurde dargestellt dass alles Fremde schlecht ist und verboten sein muss. Wenn die eigenen Dinge die einzig wahren sind, muss alles Andere weichen.
(Bild Kauft nicht...)

- Warum haben die Menschen sich nicht einfach gewehrt und einfach weitergemacht?
* Anfangs haben viele gedacht, es wäre nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, der halt spinnt. Sie wollten auch keine Unruhe stiften und nicht auffallen, um normal weiterzuleben. Aber sie durften nicht mehr arbeiten gehen. Sie durften auch nicht studieren. Die Leute wollten deren Kinder nicht einmal in den Schulen ihrer eigenen Kinder sehen, damit ihre Kinder keinem schlechten Einfluss ausgesetzt sind. Sie mussten in eigenen Vierteln wohnen und durften diese nicht verlassen.
(Bild Ghetto/Traiskirchen)

- Das ist doch nicht erlaubt! Leute so einzusperren...
* Man hat sie einfach dorthin übersiedelt, Familien zusammengepfercht, ihnen ihre letzten Wertgegenstände abgenommen dafür. Sie mussten ja bis dahin alles verkaufen um durchzukommen. Und man hat es ihnen schöngeredet, dass sie dort, hinter den Mauern, ihre Sicherheit hätten. Wenn sie drin blieben. Weil das Volk sie attackiert hat, auf der Straße. Oder angezeigt und verraten und verpetzt. Und um sicherzugehen dass sie sich an die Regeln halten, mussten sie Abzeichen tragen, an denen man sie erkennt.
(Bild Judenstern/diverse Schlagzeilen)

- Das hätte ich nicht gemacht. Ich hätte das nicht getragen.
* Dann hätte man dich sofort verhaftet. Es wurden ja die Ausweise kontrolliert. Und wenn man da herausgefunden wurde...

- Was soll denn in dem Ausweis drinstehen.
* Man musste ja auch nachweisen, ob die Familie seit mehreren Generationen schon im Land war, wo die Abstammung liegt. Ob man eine Aufenthaltsberechtigung, eine Staatsbürgerschaft hat. Da gab es verschiedene Abstufungen, je nachdem ob man bleiben durfte, gehen musste, frei sein konnte...

- Aber wo sollten die Leute denn sonst hin?
* Grundsätzlich hieß es, Überall nur nicht hier. Am Besten sie verschwinden ganz aus dem Land. Es hieß, hier ist kein Platz für sie.

Sonntag, 10. Januar 2016

Was Wir Wollen

Wir wollen Kontrolle, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Freiheit, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Gleichberechtigung, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Gesetze, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Geld, aber wir wollen es nicht.
Wir wollen Selbstbestimmung, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Ruhe, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Gesundheit, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Vielfalt, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Gesellschaft, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Wissen, aber wir wollen es nicht.
Wir wollen Hilfe, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Kommunikation, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Verantwortung, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Anleitung, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Freundschaften, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Gelassenheit, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Fortschritt, aber wir wollen ihn nicht.
Wir wollen Wahrheit, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Kritik, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Veränderung, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Verständnis, aber wir wollen es nicht.
Wir wollen Zufriedenheit, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Einschränkungen, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Gemeinschaft, aber wir wollen sie nicht.
Wir wollen Frieden, aber wir wollen ihn nicht.

Sonntag, 15. November 2015

Austrian Summer

Es ist still geworden in diesem Blog. Dass es seit dem Sommer keinen Eintrag mehr gegeben hat, liegt aber nicht daran, dass sich nichts getan hat, sondern dass sich so viel getan hat.
Viele neue weiße Haare sind auf meinem Kopf gesprossen seit August.
Dem letzten Eintrag von Mitte August folgte ein Flug, währenddessen ich kurz eingenickt war und Folgendes träumte.
Wir kamen nach dem Flug nach Hause. Müde, heiß, froh endlich wieder angekommen zu sein. Ich zückte den Schlüssel um die Wohnung aufzusperren, trat ein, und blickte direkt ins Wohnzimmer. Und sah eine syrische Familie auf dem Boden sitzen und zu mir aufblicken, die Wohnung in Schutt und Asche, nichts mehr übrig außer Staub und Trümmer, und dazwischen dicht aneinandergedrängt Fremde, die in unserer Abwesenheit Unterschlupf gesucht hatten.
Ich schreckte aus dem Traum auf. Es war so realistisch. Es war so wahr. Es war so möglich. Ich hatte keine Angst, keine Wut, nur Mitgefühl. Und ein Gefühl dafür, wie zerbrechlich unser aller Luxus im Grunde doch ist. Und dass wir nichts verlieren würden, wenn wir es mit Anderen teilten.

Doch bis dahin war bereits viel geschehen in diesem Jahr. Und seitdem war noch viel mehr geschehen. Und seit ich beschlossen habe, endlich alles zusammenzufassen und niederzuschreiben, war wiederum mehr passiert. Fangen wir also am Anfang an und gehen chronologisch weiter. Man könnte sagen, ein Jahresrückblick.

Es ging im Januar los. Terror in Paris, als die Redaktion von Charlie Hebdo Ziel von Attentaten wurde, die Europa kurz wachrüttelten. Wach? Auch Gruppierungen wurden wieder munterer, denen man einen tausendjährigen Schlaf vergönnt hätte. Stimmen, die sich nach dem Finden eines vermeintlichen kollektiven Sündenbocks verstärkt die Hände rieben. Auf der einen Seite die Menschen, die sich solidarisch mit den "selber schuldigen Provokateuren" zeigten und die Demokratie für weiterhin lebendig erklärten. Auf der anderen jene, die die "da seht ihr es wieder"-Leier bedienten.
Man fürchtete, es wäre das Ende Europas, das Ende der Demokratie, das Ende der Unschuld. Dabei war es erst der Anfang. Nicht nur der Anfang des Jahres.
"Ich denke auch, dass das erst der Anfang war. Betreffend der Reaktionen. Und in welche Richtungen sie gehen werden. Selbstlaufende Terrornachbeben." ©, Januar 2015.
Ich wusste, das Jahr ließ sich schon zu Beginn anders an. 

Rassemblement républicain à Vienne/Republikanische Mahnwache in Wien - Je suis Charlie, 11.01.15 




Bis dahin waren bereits unzählige Menschen vor Lampedusa ertrunken, auf der Flucht in Richtung Gelobtes Europa. Bis dahin haben bereits deutsche Aufnahmezentren gebrannt, bis dahin waren österreichische Einrichtungen überfüllt und diskutiert. Bis dahin war aber noch alles weit, weit weg. Selbst Paris. Weit, weit weg.


Dann entdeckte ich das Medium des klassischen Leserbriefs. Dass sich der Socialmediafreundeskreis etwas geistig-inzestuös im Kreis selbst bestäubt und an Andersdenkende kaum herankommt, wurde immer klarer, wenn man auf Kommentare außerhalb der eigenen Kreise stieß.
Gepaart mit der Auflagen- und Leserstärke einer Gratiszeitung, die sich Kreti und Plethi tagtäglich im Aufwachmodus auf dem Weg in den Tag zu Gemüte führen, und dem Bedürfnis, vielleicht auch nur eine Person zum Nach- oder Umdenken anzustiften, flogen flinke mobile Emails in die Redaktion. Und wurden, zu meinem Erstaunen, abgedruckt.

Die Charlie Hebdo-Solidaritätsavatarbildchen verschwanden, die Stadt blühte mit dem Frühling auf, man wähnte die heile Welt wieder im Lot. Alles war wieder in weite Ferne gerückt. Man freute sich auf die Songcontest-Veranstaltung in der Stadt, man schaute zu wie alles bunt und gemeinsam wurde. Das katholische Irland stimmte ab und zu, gleichgeschlechtliche Paare heiraten zu lassen. Euphorie. Ampelpärchen, emotionale Ansprachen betreffend die Diversität der Geschlechter, aber auch nörgelnde Stimmen, die Geld- und Gedankenverschwendung diagnostizierten. Noch lagen die Gemeinderatswahlen in fernerer Zukunft, noch galt die Kritik allein der Steuergeldverwendung.

Doch parallel entdeckte der interessierte Bürger Dokumentationen und Schwerpunkte zu Jahrestagen. 70 Jahre Kriegsende. Rund 20 Jahre seit den Balkankriegen. Wer waren eigentlich die ehemaligen Nachbarn in Not, die längst zu unseren gewohnten Nachbarn im Haus geworden waren. Und warum wurden sie zu unseren direkten Nachbarn. Es gab viel nachzulernen, was in den turbulenten, raschen, konfusen Nachrichtenmeldungen von damals keine Zeit hatte, analysiert und erklärt und verstanden zu werden.

Dann kam der Sommer. Ein sehr heißer Sommer. Man hätte es, rückblickend, voraussehen können. Man hätte es, rückblickend, verstehen können. Man war allerdings damit beschäftigt, seine Füße, zu oft auch seinen Kopf, in den heißen Sand zu stecken und sich Frischluft zuzufächeln.
Frischluft, die geschleppten verzweifelten Flüchtlingen aus dem Mittleren Osten in den Kühllastern, in die sie eingeschweißt waren, fehlte. Frischluft, von der die Flüchtlinge, die keinen Platz mehr in Traiskirchen fanden, zu viel hatten, wo es ihnen sonst an schlichtweg allem mangelte.
Es war August. Man fand ausgesetzte Neuankömmlinge auf und neben den Autobahnen - die, die es überlebt hatten, und die, die nicht. Grenzüberschreitungen. Geografische, und emotionale. Im ersten Schrecken war sich niemand bewusst, dass es keine "bedauerlichen Einzelfälle" waren, wie sie vermehrt in bestimmten politischen Kreisen nun immer wieder auftraten. Sondern der Anfang des Elends vor unseren eigenen Wohnungstüren. So begann auch die Wahlwerbung für den Herbst langsam durchzusickern. Ende August war es, da ich die Innenministerin zum ersten Mal offiziell "unheilig" nannte. Und ich erinnere mich an den Satz als Facebook-Kommentar, "Jetzt kommt der Regen..."

Es war August, als sich Privatpersonen spontan per Socialmedia zusammendachten und ihre Autos vollstopften mit Wasser und Nahrungsmitteln, und sie nach Traiskirchen brachten und den Heimatlosen austeilten. Spontane Beschlüsse. Ich erinnere mich an Sätze wie, "Ich fahr jetzt." - "Ich komm mit." Neuankommende strandeten in Wiens Bahnhöfen. Leute schlossen sich zusammen und empfingen, versorgten sie. Es waren Menschen ohne Namen und Vereinigung, die plötzlich organisierten, was die Regierung in der Sommerpause nicht anschaute.
Parallel dazu wurden widerliche Angst- und Missgunst-Stimmen laut. Die Kombination von Hitze und Bier im Kopf braute Menschenverachtendes auf, und der Politik kam es gerade recht. Plötzlich war der Begriff "Gutmensch" eine Beleidigung. Plötzlich trennte sich eine Spreu von einem Weizen, die teilweise fast so gedeutet wurde, dass es Bürgerkrieg geben werde, wenn die Rechten und die Gutmenschen... Währenddessen bildeten sich Konvois von Privatautos, Menschen in Sicherheit zu bringen. Fluchthilfe, ein neues Wort.

Anfang September schien das Volksstimmefest außergewöhnlich dünn besucht. Die Vermutung kam auf, die üblicherweise Veranstaltenden und Besucher waren derzeit auf die Behandlung anderer Prioritäten eingestellt, Wahlzeit hin oder her. Auf dem Hauptbahnhof hatte die helfende Gruppe bereits einen Namen, TrainOfHope. Am Westbahnhof hatte die Caritas - 'Wir helfen' das Ruder übernommen, das bislang von gruppenlosen Freiwilligen bereitgestellt und bedient wurde.

Kennenlernen ist die einzige Medizin gegen Angst,
Langsam, ganz langsam klinkten sich Firmen und Organisationen ein. Ein drogeriemarkt startete den Verkauf von symbolischen Unterstützungspaketen.


"Furcht vor dem Unbekannten. Panik vor dem Ungewissen.
Sorge um Veränderungen.
Angst vor Verlusten.

Menschlich, all zu menschlich.
- Und jetzt stell dir vor, deine Freunde wären nicht umgebracht, deine Familie nicht entzweit, und deine Wohnung nicht weggebombt worden, und du verstehst jedes Wort um dich herum in einer gewohnten Umgebung, in der du dich auskennst und es dir an nichts fehlt, wo du hingehn und tun kannst wohin und was du willst." ©, September 2015

In den Bundesländern wurden Wahlen bereits absolviert. Mit erschreckenden Ergebnissen. Diesen Rechtsruck auf Wien umgelegt, lief man Gefahr, in Schockstarre zu verfallen. Rechtspopulisten wurden immer dreister, deren Anhänger fühlten sich immer sicherer, man zweifelte an der Funktionalität und Durchführung der Verfassung. Man wähnte sich in den 1930er Jahren. Man schüttelte sich und legte Protest ein. Und half um so mehr, an den Bahnhöfen, in den Camps, an den Grenzen. Wo einst Mock und Horn Zäune zerlegt und abgebaut hatten, wonach im jetzt vereinten, entzweiten Deutschland Die Mauer fiel, berief sich ein Orban stur und streng auf EU-Richtlinien, die nur teils unter der Hand ausgesetzt wurden, weil es nicht mehr anders ging.


Anfang Oktober, und die politische Stimmung hatte sich bereits extrem aufgeheizt. Der Wahlkampf bäumte sich in seinen letzten Zügen auf, und die Gegenstimmen wollten gehört werden. Zigtausende Menschen begaben sich auf einen Marsch, der die gesamte Einkaufsstraße Nummer Eins füllte. Ein Marsch, der zum Erliegen kam, da vor lauter Menschen kein Platz zum Gehen war.








Platz war anschließend auf dem Heldenplatz - ein Benefizkonzert zu freiem Eintritt, deren namhafte Teilnehmer nicht einfach musizierten, sondern eine Botschaft in die Welt riefen. Eine Botschaft, die kilometerweit in der Luft zu hören war. Zigtausende Menschen, deren Stimmen in der Luft hingen. Nicht das erste Mal in den letzten Monaten, in denen ich die Tränen hinunterschluckte. Mal Tränen der Empörung, mal Tränen der Erschütterung, Tränen der Hilflosigkeit, der Ergiffenheit, des Mitgefühls. Bis heute, und wir haben Mitte November, habe ich ihnen keinen freien Lauf gelassen. Nicht, als ich das kleine Kind unter einer Wartebank im Bahnhof auf dem Steinboden schlafen sah. Nicht, als Campino den Wienern und Wienerinnen laut sagte, sie dürfen sich ihre bunte, schlitzohrige Stadt nicht wegnehmen lassen. Nicht, als mir für meine mickrigen Hilfsversuche gedankt wurde als hätte ich ein Leben gerettet. Nicht, als ich schreckliche Bilder in den Medien sah. Nicht, als ich einfach nicht fassen konnte, was für eine Macht Soziopathen doch erlangen können. Nicht, als ich von Fremden beschimpft, körperlich attackiert und provoziert wurde.
Es stehen mir keine Tränen zu. Es geht mir gut. Ich habe keinen Grund für persönliche Tränen.

Dann gab es die Wahlen in Wien. Die Ergebnisse waren erschreckend, aber man kam gerade noch mit diesem großen Schrecken davon. Man dürfe jetzt nicht einschlafen, hieß es, und ich hoffe es ist dem auch so. Denn das nächste Mal zu den Nationalratswahlen möchte man sich nicht ausdenken, wenn die Tendenz weitergeführt wird.

Eine der Erklärungen, warum hier seit dem Sommer nicht mehr geschrieben wurde, ist, dass die Finger nur immer mit einer Sache zugleich beschäftigt sein können. Einerseits die Sozialen Medien, die nach zeitgleichen Wortmeldungen und Widerworten verlangen und Neuigkeiten verbreiten, die gelesen werden wollen. Andererseits eine spontane Sache, die sich unerwartet auswuchs. Sie begann mit dem Aufruf von TrainOfHope, als es plötzlich kalt und kälter wurde, dass warme Kleidung benötigt wurde. Schals, Hauben, Socken. Nachdem wir nichts mehr hatten was wir spenden konnten, dachte ich in einem meiner Kommentare direkt in die Tastatur hinein, dass ich ja, mit einem wiederzufindenden Hashtag, Strick- und Häkelanleitungen veröffentlichen könnte. Plötzlich bekam ich Zustimmung. Plötzlich hingen sich fremde Personen an. Plötzlich eröffnete ich eine Facebookseite und fand den Namen woollywelcomevie dafür, und plötzlich explodierten die Teilnehmerzahlen. Plötzlich sah man zu mir hin. Zu mir, wo es doch nichts zu sehen gab?
Leute aus verschiedenen Ländern fragten -mich-, wie und was sie tun könnten. Leute schauten mich an, als wäre ich ein Anführer, eine Weise, eine Mutter. Es war unangenehm, ungewohnt. Ich hatte doch gar nichts Großes getan. Ich fühlte mich fast wie ein Verräter, so viel Lob und Anerkennung und Dank zu erhalten, für etwas, was nichts war, im Vergleich. Und das ausdrückend, kam in Folge noch mehr davon an. Ich fühlte mich wie Brian, und ich fühlte mich wie ein Poser. Ich habe kein Geld um zu unterstützen. Ich habe kaum Freizeit, um mich zu engagieren. Alles was ich tue, ist, jeden Tag eine Haube zu häkeln und sie jedes Wochenende zum Bahnhof zu bringen. Vergangene Woche brachten wir die Kinderwägen mit, nachdem ich sie entstaubt und die Reifen im Fahrradgeschäft aufpumpen gelassen hatte. Keineswegs eine Heldentat.







Parallel versuchte ich, den Menschen klarzumachen, was los war. Dass sie sich nicht fürchten mussten. Dass das alles zu schaffen war. Dass sie niemand bedrohte oder ihnen etwas nehmen wollte.
Das Phänomen, dass Leute erwartungsvoll auf mich zukamen, mir folgten, fiel mir immer öfter auf. Im Erste Hilfe Kurs. Bei einer Kundgebung gegen den Aufbau von Grenzzäunen. Trage ich eine Aura des Wissens um mich? Wirke ich als sei ich "die richtige Adresse"? Wildfremde Menschen, die mich auf der Straße ansprechen und fragen, wie und was sie tun können und sollen? Ich beginne einen Satz zu rufen, Wildfremde rufen daraufhin mit. Suchen die Menschen verzweifelt nach jemand der beginnt, der den Mund aufmacht, der... ja ich weiß es nicht? Es verwirrt mich. Es verunsichert mich nicht wirklich, aber es verwundert mich. Irgendwie erschreckt es mich auch. Wie leicht man Menschen dirigieren kann und könnte. Mit guten und mit schlechten Intentionen. Vielleicht strahle ich ja eine gewisse Art Selbstbewusstsein und Stärke aus  – weil ich kein Schockstarretyp, sondern ein Aktionstyp bin. Wobei ich doch gar nicht selbstbewusst oder stark bin. Ich kenne mich doch, oder etwa nicht?

Und dann ist jetzt wieder etwas passiert, in Paris. Terroranschläge in der Nacht, und es ist wieder wie zum Anfang des Jahres, und alles was dazwischen lag wird in die falsche Verbindung gebracht, und von Mal zu Mal wird es stärker, und ich weiß: Januar war erst der Anfang des Jahres. Der Jahreskreis schließt sich nicht einfach. Es spiralisiert. Auch in harmlosen Diskussions- und Plaudergruppen kristallisiert sich heraus, dass im Grund jeder Mensch auf der Welt das Selbe denkt und fühlt, aber grundverschiedene Reaktionen dabei herauskommen.
"Und wir hickhacken um eine von vier verdammichten Turnhallen, weil man denen, die GENAU VOR DIESEN TERRORISTEN FLÜCHTEN, nicht gönnen will, dass sie sich kurz einmal unter ein Dach legen können. Wir sind so kleinlich, solche Scheuklappenträger, solche Egoisten. Mich selbst eingeschlossen. Ich bin um nichts besser. Ich sitze in meiner gedämmten, eingerichteten Wohnung, habe so viel dass ich es wegwerfen könnte, häkle täglich eine Haube, helfe samstags am Bahnhof und lasse mir danken für NICHTS; ich denke mir das Hirn wund um eine Erklärung zu finden für die, die nicht verstehen, nicht verstehen wollen, und es hilft NICHTS, und ich werde von Fremden beschimpft als "Gutmensch" und "Fluchthelfer" und Ärgeres, aber es schmerzt mich nicht, weil es nicht darum geht ob ich mich verletzt fühle, weil ich nicht annähernd verletzt wurde im Vergleich. Das Mindeste was ich tun kann, ist, zu versuchen, denen, die voller Angst geflüchtet sind, ansatzweise zu helfen, denn sie haben nichts außer der Angst vor dem, was uns jetzt nur als Bruchstück (!) schockiert." ©, November 2015.

Und das Jahr wird vorübergehen, und es wird immer neue Nachrichten geben, und ich werde weiter meine Hauben häkeln, und darauf achten dass es nicht alles Routine wird an der wir abstumpfen. 
Ich habe keine Angst. Man kann es nicht Angst nennen. Und ich habe keine Zeit für Angst. Und meinen Tränen kann ich freien Lauf lassen, wenn alles gut und überstanden ist. Tränen trüben den Blick. Tränen schnüren die Luft ab. Dafür ist später noch Zeit. Wenn die Erleichterung kommt, Wenn die Gefahren gebannt sind. 
Inzwischen werden es mehr weiße Haare. Ob der Dinge, die sich zugetragen haben. Der Aussagen die man gehört und gelesen hat. Der Schwierigkeiten, die zu lösen man nachdenkt. Es sind nur weiße Haare. Das tut niemand weh. Darum kann ich mich später auch noch kümmern. Es kommt alles zu seiner Zeit. Und wir schaffen das.