Freitag, 4. Oktober 2013

Vorschrift hat Vorrang?

Seit einiger Zeit fahren die Wiener Linien eine Kampagne, um Rücksicht und Verhalten in den Öffentlichen Verkehrsmitteln zu schulen bzw. die "Hausordnung" besser durchzusetzen.

Als Öffi-Benutzerin erlebt man so manches. Vieles. Und denkt sich seinen Teil dazu. Und kommt auf seine eigenen, ungeschriebenen Regeln und Gesetze.

Als da einige meiner wären:

Wer drückt, darf als Erster aus-/einsteigen.
Wer den bakterienumwobenen Türöffner-Knopf betätigt, hat meinen Regeln nach das Vorrecht, zuerst ein- oder auszusteigen. Wie unelegant wäre es doch, jemand anderen drücken zu lassen und sich dann an jener Person vorbeizudrängeln und sich zuerst durch die Tür zu schieben.

Sitzt die Tasche gut?
Wenn jemand schon der Ansicht ist, dass die Handtasche/das Einkaufssackerl unbedingt einen Sitzplatz benötigt, ganz gleich wie vollgestopft der Waggon ist, bin ich der Meinung, dass die Tasche dann auch einen Fahrschein braucht. Oder? Im Flugzeug beansprucht jedes Ticket ja auch maximal einen Sitz.

Geh, beweg dich...Wer schon meint sich wichtig und dringend vordrängen zu müssen, soll dann bitte auch weitermachen. Durch die Tür und dann erlahmt stehen bleiben, Motto nach mir die menschliche Sintflut, ist nicht. Wer die Entschleunigung in der Fortbewegung lebt, möge bitte wenigstens ein bisschen ausweichen und für die flotteren Mitmenschen ein wenig Platz machen (was übrigens auch für Gehsteige gilt). Die Türen zu blockieren wenn man in der nächsten Zeit nicht vor hat auszusteigen, und so niemand leicht aussteigen kann wenn man in die Station eingefahren ist, zeugt auch nicht von hoher sozialer Phantasie.

Zieh die Flossen ein!
Schön, wenn man ein Plätzchen ergattert hat. Aber warum kann das Gegenüber nicht die ausgestreckten Beine incl. Füße einziehen? So nahe müssen wir einander nun doch nicht kommen. Das Selbe gilt für Sitznachbarn: Wenn du nicht willst dass ich mich auf deinen Jackenflügel setze, dann falte ihn gefälligst auf deinen eigenen Schenkel. Auch deine Ellbogen machen sich nicht so gut in meinem Blickwinkel oder Rippenbogen.

Danke für die Taschenwatsche!
Großhandtaschen- und Rucksackträger vergessen oft, dass sie leicht LKW-artig seitlich nach hinten ausscheren. Wenn man selbst nicht unbedingt mit einem Gardemaß gesegnet ist, landet so ein Tragegut-Bodycheck oft gefährlich nah an der Visage!

Schüttel dein Haupthaar für mich!
Super, wenn wer hinter dir sitzt und, Helge Schneiders Anweisung in "Es gibt Reis, Baby" nach, sein Haupthaar schwungvoll auf dich schüttelt. Wieder ein Absatz unter dem "Vergiss nicht: Du bist nicht allein hier"-Paragraphen.

Colour-Coded.
Wie wäre es eigentlich, wenn Jahreskartenbesitzer ein Vorrecht auf Sitzplätze hätten, verglichen mit einem Konzert-Abo? Ein Farbpunkte-System für Sitzplatzanspruch wäre ja auch was Feines: Nicht nur den älteren, körperlich offensichtlich eingeschränkteren, bekinderten oder wie immer im Stehvermögen beeinträchtigten Passagieren möge man seinen Sitzplatz überlassen. Aber wie zu wissen, ob einer außerhalb dieser Fahrgastgruppe einen braucht? Wie im indischen Kasten-System bunte Farbtupfer auf der Braue? Rot für Regelschmerzen (wos braucht des junge Madl an Sitzplootz)? Gelb für Kopfschmerz- und Migränepatienten? Blau für Über-10-Stunden-Arbeitstag? Grün für Übelkeit, Blutdruck- und Kreislaufbeschwerden?
Oder wie wär's wenn man sich trauen könnte und dürfte, "auch so" ums Hinsetzenlassen zu bitten? Geh, Teenagerschulkind, diese Woche ist voll heftig in der Arbeit und ich kann kaum mehr stehn, und krank bin ich auch. Lässt mich hinsetzen bitte...

Dann allerdings zieht mein Gedankengang noch weitere Kreise. Warum braucht's plötzlich so eine Kampagne? Und warum denk ich mir automatisch meine eigenen Öffi-Benimm-Regeln aus? Muss man den Leuten neuerdings mittels Ding-Dang-Dong-Durchsagen alles und jedes vorsagen und diktieren? Und unsere Kinder besuchen wiederholt Öffi-Sicherheits-und-Gebrauchs-Kurse?
Da drängt sich mir die Frage auf: Kann man seinem Kind (und zukünftigem Erwachsenen) nicht einfach selbst beibringen, wie man sich in den Fahrzeugen, im öffentlichen Raum, und der Gesellschaft allgemein benehmen soll?
Wer seinen Mist in der U-Bahn einfach fallen oder liegen lässt, wird es auch auf der Straße und im Wald tun. Wer sich in der Straßenbahn wie ein ignoranter Asozialer beträgt, wird es auf seinen restlichen Wegen wohl nicht viel anders handhaben. Werden Generationen nicht erzogen, könnte man genauso gut bald auch Kampagnen in Supermärkten starten.

Es ist ein viel weitgreifenderes, tiefschichtigeres Thema. Da geht's nicht um Essensgerüche in der U-Bahn. Da kann man gleich beginnen, alles und jedes durchzusagen, zu verkampagnisieren und abzustrafen. Regeln, Verbote, Anweisungen, Gebote. Oder vielleicht doch schon den Kindern beibringen "was sich gehört", und was ein so genanntes No-Go ist?
Oder wir bereiten schon mal einen Jingle für Restaurants vor: Wir ersuchen unsere Gäste um den Gebrauch von Besteck und Serviette sowie um den Verzehr unserer Angebote mit geschlossenem Mund.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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