Freitag, 7. März 2014

Die Tagesthemen.

Bekanntlich kommen Tages- bzw. Wochenthemen gerne in Wellen daher. Manchmal, wenn so gar nichts los ist und man von Löchern spricht, tun sich auch Geschehnisse auf, die sonst gar nicht so thematisiert werden. Und dann wieder überschlagen sich die Ereignisse, hat der Journalist eine große Auswahl an dicken Schlagzeilen.

Was es dann in den Alltagssmalltalk schafft, ist allerdings eher regional gewichtig; Vorkommnisse die einem wie das sprichwörtliche Hemd näher sind als die Hose, werden schneller zum Gesprächsinhalt. Der großstädtische U-Bahn-Ausfall neulich? Der für einige Stunden "alles" lahmgelegt hat? Sprach man darüber nun mehr oder weniger intensiv als über die Entwicklungen in der Ukraine? Ist das Hickhack um die Gestaltung der österreichischen Matura nur für eine gewisse Zielgruppe interessant? Oder ist auch dies nur ein geringes Thema, historisch und global gesehen, im Vergleich zu den Headlines, die implizieren, dass fortgeschrittene Bildung in ihrer entfernteren Ursprungsregion auf Grund ihrer Situation gar nicht einmal gegebenes Thema für jedermann sein kann? Wie wichtig nehmen wir unsere eigenen Personen, wenn wir uns maßlos echauffieren können über den äußerst kurz bemessenen Ausfall eines Teils des öffentlich befahrenen Verkehrsnetzes, wenn wir in Nullkommanichts einen kleinen Ausnahmezustand miterleben, wenn sich Menschenmassen aufgebracht und ziellos umherdrücken, sich angesichts der akuten Bedrohung aggressiv und/oder ohnmächtig fühlen und verhalten? Wo die einen drängeln, plündern, brandschatzen, während andere sich aneinanderklammern und spontan Kleingemeinden bilden?
Und nein, ich spreche weiterhin von den U-Bahn-Bahnsteigen und Waggons der verbliebenen Fahrzeuge, und nicht über Kiew oder Simferopol.

Ist die pubertär-gefährlich symbolische Attacke auf die Damen von Pussy Riot eine passende Schlagzeile zum Welt-Frauen-Tag? Oder doch eher der halbstatistische Bericht, dass es ein Hausfrauen-Aussterben gibt; so viel wenige Prozent nur mehr im Vergleich zur vorletzten oder noch vorgestrigeren Generation, als wir noch einen Kaiser hatten und keine Haushaltsmaschinen, ohne die "Hausfrauen"-Arbeit noch Arbeit war, und einen Tag voll mit selbiger anfüllte, und nicht ergänzend vereinbar war, ein zweites, mageres Gehalt zum Familieneinkommen beizusteuern?
Dass in bestimmten anderen Ländern viel angeglichener ist, wie Männer und Frauen nahezu gleich bezahlt werden "als hier"? Auch wenn keine genaueren Zahlen darüber angegeben werden, ob Männer und Frauen in Icksüpsilonland eher nicht gleich viel, sondern gleich wenig Lohn erhalten, also vergleichsweise beide nix?
Oder dass es (wieder?) eine Sektsteuer gibt und eine jede Flasche ab hier und jetzt ein paar zig Cent mehr kostet?
Oder dass von politischer Seite her plötzlich Sotschi doch boykottiert werden kann, und zwar just wenn der paralympische Teil beginnt und Unsere Sportler die Medaillen schon abgesahnt haben? Weil, vorher war Putin ja noch nicht menschenungerecht genug, vorher ist ja noch nix passiert, vorher setzte man noch ein sportliches Zeichen, vorher war's ja noch vertretbar, vorher konnten unsere Sportler ja noch nix dafür, vorher hatte es ja noch nicht mit Weltpolitik zu tun, vorher regierte noch der Olympische Gedanke, vorher setzte man noch ein Zeichen, vorher war das olympische Dorf zwar auch schon ein potemnkinsches, aber Unsere Sportler. Vorher likte und twitterte man noch gratulierend jedem Unserer Sportler zu, aber jetzt ist Olympia ja doch eh vorbei – oder?

Was wir zu unserem persönlichen Tages- oder Wochen- oder Jahresthema machen, kommt ganz auf unsere Sicht der Welt und des Horizonts an. Welche Geschehnisse unsere Kreise stören, oder ob es sich konzentrisch ausbreitende Kreise sind die uns tangieren, oder ob wir in ganz anderen Geisteskreisen verkehren, und ob wir doch lieber bei der Bewertung des Wetters bleiben; aus Ignoranz, aus falsch konzentrierter Betroffenheit, und nicht weil es das einzige Thema ist das ungefährlicherweise offen und öffentlich besprochen, diskutiert und kritisiert werden darf; wenn uns die momentane meteorologische Situation allen Ernstes mehr und intensiver beschäftigt als das was anderen bei Strafe untersagt ist auszusprechen, oder noch ganz anderen nicht einmal ein Thema ist, weil es am Ding an sich mangelt.

Ich war zur Stoßzeit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Als alles ausfiel. Ich wollte nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag nach Hause und meinen grippalen Infekt loswerden. Ich habe Arbeitskollegen informiert und upgedatet. Ich habe zu Hause angerufen und meine Situation und den Umstand erklärt, warum ich nicht zur erwarteten Zeit heimkomme. Ich habe mit Fremden fraternisiert, Hilfestellung geleistet, Trost zugesprochen. Ich habe mich verhalten, als wären wir alle in einem Luftschutzkeller eingeschlossen oder sonst etwas durch einen Angriff in die Luft gegangen. Mein psychologisches Ausnahmezustandsverhalten war voll aktiviert. Ich hätte stantepede Erste Hilfe geleistet und wahrscheinlich auch plötzlich verwaiste Kleinkinder adoptiert. Es ist zum Schämen, wie notfallsgeschüttelt ich auf zwei, drei Stunden U-Bahn-Ausfall reagiert habe. Noch mehr zum Schämen, wie sich andere verhalten haben. Es war kein Ausnahmezustand. Es war nicht einmal eine Generalprobe dessen. Auch wenn man einen leichten Geschmack dafür bekommen konnte, wie sich Mensch in einer solchen Situation wohl verhalten könnte und würde. In Situationen, wie sie zeitgleich anderswo stattfanden. Stattfinden.
Jetzt.


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