Mittwoch, 25. Dezember 2013

Es kommt wieder eine Generation ohne Großväter.

Nachdem heuer das erste Weihnachtsfest seit Jahrzehnten vorübergegangen ist, an dem ich keinerlei als Weihnachtskarten getarnte boshafte Psychoterrorpost mehr erhalten haben konnte, konnte ich trotzdem nicht umhin, mein mentales Schmerzgedächtnis zu registrieren, das ein wenig wie ein optisches Nachbild auf der Netzhaut wirkt. Es wird sicher noch einige Zeit dauern, bis es verblasst und ich hunderprozentig freie Sicht ohne Schatten und Echos wiedererhalten habe.

Und angesichts der nebenbei erzählten Histörchen aus dem Alltagsleben mir bekannter Damen wurde mir bewusst, was mir alles entgangen ist, was mir alles gefehlt hat, was mir alles genommen wurde – weil mein Vater kein Vater im klassischen Sinn gewesen war, erst recht nicht im positiven.

Erwachsene junge (und auch nicht mehr gar so blutjunge) Damen, selbst mit einem gleichaltrigen Mann an ihrer Seite, haben, wenn es an etwas Heimwerkendes geht, den Papa an der Seite. Der mit starken, angewitterten Händen die mühseligsten Möbel konstruiert, an der Wohnung bzw. am Haus herumschraubt, mit den professionellsten Werkzeugen aufkreuzt, dem Juniormann Lektionen der perfekten Grillkunst gibt. Der seine Kontakte und Empfehlungen hat, seine männliche Lebenserfahrung und -weisheit einbringt, dem Juniormann schulterklopfend den Rücken stärkt, wenn die Frauenquote überhand nimmt. Oder den Juniormann schon mal ein wenig ins Abseits dirigiert und unterhält, damit die Damenrunde ohne schlechten Gewissens einfach nur Damengezwitscher ablassen kann.
Ein Papa, unter dessen Schutzschirm man sich stellen kann, der immer was Nützliches aus dem Ärmel zaubert. Der als höhere Instanz auf den Tisch haut, wenn man sich selbst nicht sicher ist.

Jetzt stelle man sich das Gegenteil davon vor. Zumindest die ständige Absenz.

Kein Wunder, dass also sowohl meine Mutter als auch ich keine Scheu vorm Handwerken haben. Die Rolle des Manns im Hause übernehmen. Was den Juniormann manchmal etwas in seiner Männerrolle frustriert. Und die Frau in ihrem abstrakten Allesmussichselbsertunsonsttutskeiner ständig am Wasserstrudel entlangrudert. Dass man sich nicht erlaubt, mal machen zu lassen, mal nicht immer die Stärkste sein zu müssen. Sich nicht selbst schützen und verteidigen zu müssen. Weil man weiß dass es sonst keiner tut.
Das hatte ich nicht, das wurde mir verwehrt, die Rolle musste ich mir selbst überziehen. Und bin diese Rolle so gewohnt, dass es mir fast unangenehm ist, sie ab und zu abzulegen. Was man denn nicht alles an sein Umfeld weitergibt, auch wenn es sie überhaupt nicht betroffen hat, und sie davon gar nicht betroffen sein dürfen sollen.

Und so fehlt natürlich auch der klassische Großvater. Der mittlerweile gütig-geduldig gewordene Opa. Der freche Scherze macht, gegen die Frauenriege der Familie steht. Bei dem Strenge und Donnerwetter nur mehr walten, um die jüngste Generation zu verteidigen. Der zu einem steht, wenn der Rest der Familie meckert.
Ich vermisse meinen Opa immer noch. Sehr. Von mir aus hätte ich ihn noch öfter, noch länger haben wollen. Hätte er erreichbarer von mir gewohnt, er hätte mir vor langer Zeit wahrscheinlich helfen können.

Und so ein Großvater fehlt jetzt natürlich, siehe oben, der neuen Generation komplett. Ist nicht einmal ansatzweise verfügbar. So ist es aber wahrscheinlich in vielen Familien, wird es vielen Generationen so gehen. Mit Patchworkfamilien hat sich alles geändert. Mit Vätern, die sich plötzlich den Kindern entziehen und sich keinen Deut um ihren Nachwuchs scheren, gibt es später auch keine Opas, die sich für ihre Kindeskinder interessieren. Die Rolle der alleinübernehmenden Mutter hat sich schon jetzt auf die der alleinübernehmenden Großmutter ausgeweitet. Die jetzigen Väter, ohne permanente und konstante Schwiegerväter, bekommen auch nicht im Bedarfsfall den Kopf geradegerichtet, so von Mann zu Mann. Unsere Söhne werden hauptsächlich von Frauen erzogen, bekommen Väter oft nur mehr verstörend vorgelebt.
Aber welcher Mann will sich das schon umbinden – Leih-Opa zu sein.
Wir brauchen mehr Männer. "Echte" Männer. Keine Burschen. Bitte mich nicht als anti-feministisch oder konservativ misszuverstehen. Ich bin bloß der Ansicht, dass Frauen nicht alles auf einmal (tun) können. Wir können auch nicht alle auf einmal sein. Es ist nicht dasselbe. Nur Mütter können Mütter sein, und nur Väter Väter. Wenn andere Konstellationen funktionieren, wunderbar. Auch bei gleichgeschlechtlichen Eltern sind die "Rollen" aufgeteilt. Doch einer kann nicht alle.

Ich habe kein Lösungskonzept für diese Entwicklung. Ich kann auch meinen Sohn nicht hunderprozentig dazu erziehen, später einmal ein Guter Vater zu sein. Ich muss mich aber dabei zurückhalten, alle Rollen selber spielen zu wollen/müssen, denn das zieht Kreise. Und nimmt mich aus meinem Mittelpunkt. Dann stehe ich neben mir, und kann kein Fixpunkt mehr sein, weder für mich selbst noch für Andere. Und darauf fußen Schwierigkeiten, mit denen nicht so wenige Menschen und Familienstöcke zu kämpfen haben.
Ihr könnt nur ihr selbst sein. Ihr könnt keine weitere, andere Rolle ersetzen, weil ihr selbst unersetzbar seid.

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