Sonntag, 17. Oktober 2010

"Mama, warum ist meine Religion besser?"

Still geworden ist es in den Medien um die katholischen Schauermärchen.
In meinem Zynismus kommentierte ich schon, Da hat der Papst aber Glück gehabt dass die allmächtige Ölpest um die USA geschwappt ist. Oh Herr, schick uns eine andere, größere Katastrophe, auf dass die Berichterstattungen voll seien von anderen dunklen Schreckensmeldungen. Das mit den Negerlein in Haiti war schon ein bisschen Ablenkung, aber ein deftiger Nachschlag wär nicht schlecht, Amen.

Zum Schulbeginn gingen dann zu unterschreibende Zettel um, auf denen anzukreuzen war ob das Kind an einer zwanglosen, religionsübergreifenden Schulbeginnsfeier teilnehmen dürfe. Aus gegebenem Anlass müsse man da jetzt nämlich ganz feinfühlig eine Erlaubnis einholen.
Zur Hintergrundinformation: Bislang hatte das Kind ausschließlich Kontakt zu buddhistischen Mönchen; tibetischen und japanischen. Zu Fleiß ungetauft stehen ihm sämtliche Religionen der Welt zur Ansicht, Auswahl und Verfügung.
Im Schulunterricht heißt das: Wer einer Religion zugehörig ist, kann sich, automatisch dafür angemeldet, vom jeweiligen Unterricht nur abmelden. Wer keiner zugehört, darf sich anmelden wo man es wünscht. Da fängt der Unterschied in der Entscheidungsfreiheit schon einmal an. Wenn es schon keinen, wie ich es mir gewünscht und in gewissem Maße eigentlich fast erwartet hätte, religionsübergreifenden, objektiven Ethikunterricht gibt.
Da ich dem Kind ja keine Einblicke verwehren möchte, mir aber aus bekannten Gründen bei der römisch-katholischen Gruppierung das Haar sträubt und der Magen sich verkrampft, entschloss ich mich, zwecks Überblick über die Regionalthesen,  zum evangelischen Religionsunterricht. Unterstützt hat diese Entscheidung, dass ein Mitschüler aus mir sympathischem Hause denselben Hort und ebenso den evangelischen Unterricht am Nachmittag besucht. Ich alte Freundschaftskupplerin. Dass Gott eine Erfindung aus alten Tagen, als es noch mehr Rätsel, Mysterien und Unerklärlichkeiten als Wissenschaft gab, war dem Kind bereits bekannt. Wenn man nicht weiß wie die Bäume wachsen, was man im Bauch hat, und warum es blitzt, muss man sich halt was ausdenken, denn Erklärungen beruhigen. Aber bitte fahr der Lehrerin nicht dazwischen, sieh's als Märchen, Parabel, Beispiel. Rotkäppchens Wolf konnte ja auch nicht sprechen. Das ist ja auch nur eine Geschichte damit– du weißt schon. Ja, klar, Mama. 

An meinem 18. Geburtstag stürmte ich, mit meinen Lebensbeweispapieren ausgestattet, das Magistratische Bezirksamt. Und fragte den griesgrämigen Herrn an der Information, wo man denn aus der Kirche austreten könne. Da erhellte sich sein Antlitz. Schauermärchen gingen um, dass diese Prozedur nicht ohne Inquisition und Androhungen vonstatten gängen, ungefähr wie ein Stellungsgespräch beim Bundesheer, warum man den Dienst an der Waffe verweigere und lieber sinnvollen Sozialdienst leistete. Schließlich ist die katholische Kirche die einzige Einrichtung, zu deren Vertragsauflösung man volljährig sein muss, nicht wie sonst gesetzlich üblich zur Vertragsunterzeichnung. Ich hatte anno dazumal kein Einverständnis gegeben. Mich hatte keiner gefragt. Wahrscheinlich hatte ich sogar geschrien.

Jedenfalls besucht nun das Kind den evangelischen Religionsunterricht. Und frug mich eingangs natürlich, warum so und nicht anders. Und, Mama, warum ist meine Religion besser?
Ich erklärte ihm oben Beschriebenes. Und stellte sein stark ausgereiftes Sozialbewusstsein vor Stichwortaussagen wie Bei den Katholiken dürfen Frauen nicht Pfarrer werden. Nein, auch wenn sie klug und lieb sind und es wollen. Bei den Katholiken dürfen Pfarrer keine Familie haben. Nein, auch wenn sie klug und lieb sind und es wollen. Bei den Evangelischen schon. Warum? Ja genau das ist ja die Frage.

Von 36 Schülerinnen in meiner Klasse (vielleicht in der ganzen Schule?) war nur eine evangelisch. Und das wurde ihr unter die Nase gerieben. Sie durfte nicht am Religionsunterricht teilnehmen (Der gesamte Schulalltag war Religionsunterricht? Gerade dass wir zu rechnen nicht mittels des Rosenkranzes lernten weil das eine Entweihung desselben darstellen würde?). Sie war gerade so geduldet. So gerade noch. Evangelisch. Heidin. Ausgegrenzt und ausgeschlossen. Eine Muslimin hätte man wahrscheinlich weihwasserspuckend davongejagt.

Noch Unterschiede gefällig? Der Marienkult. Das ist was Katholisches. Evangelisch, hätte ich nicht in mein Heftchen schreiben müssen, Ich will so sein wie die Jungfrau Maria. (Falls ich das mal wiederfinde werde ich es abbilden. Bei meinem ersten Wiederfund nach vielen vielen Jahren schüttelte es mich vor Entsetzen, dass man mich so etwas schreiben machte.)
Evangelisch, hätte ich nicht Als MARIENkind in der Ecke! stehen müssen.
Ich weiß nicht einmal mehr was für eine monströse Untat ich begangen hatte, um mit dem Gesicht zur Wand in der Ecke stehen zu müssen. Wahrscheinlich hatte ich einmal kichern müssen. Oder tief einatmen. Oder wahrscheinlich nicht einmal das.
Marienkind, das war so ein aufgesetztes Highlight im Mai. Nicht im Wonnemonat Mai, um Himmels Willen wo hast du denn diesen Begriff her. Im Marienmonat Mai. Marienmonat. Der Mai ist der Mutter Maria geweiht. Und jeden Nachmittag wurde einer besonders ausgewählten, verdienten Schülerin am Nachmittag ein kleines Marienanhängerchen mit hellblauer Schleife mittels Sicherheitsnadel ans Schürzenrevers geheftet. Und ein Mal, ein einziges Mal, war ich an der Reihe. Und hob mich schändlich dadurch hervor, dass ich, derart dekoriert, in der Ecke stehen musste. Was lautstark kommentiert wurde.
Interessant oder vielsagend, dass ich mich an dieses Detail so genau erinnern kann? In der Ecke vorne rechts an der Tafelseite hatte ich zu stehen. Offenbar hat diese Szene Eindruck auf mich gemacht. Sich in mein Gedächtnis gedrückt.
Wenn ich schon einmal ausgezeichnet wurde, musste ich mich von meiner schlechtesten Seite zeigen. Und wie ich es nicht verdient hatte, das Abzeichen.

– Heute würde ich mir stantepede das doofe Ding mit den Worten Eigentlich bin ich überhaupt nicht scharf auf diesen unnützen Plunder; man strengt sich ja bloß drum an dass man nicht noch mehr Gefahr läuft unschuldigerweise als Außenseiter dazustehen, runternehmen und retournieren.
Nein, ich bin nicht frech (auch wenn wir alle prinzipiell so tituliert wurden). Und nein, ich bin auch in keinem Fall respektlos. Aber wer sich nicht wehrt lebt verkehrt. Lebt eigentlich gar nicht.

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