Samstag, 10. April 2010

Alexandras dunkle Wimpern

Einer der Gründe, warum wir in der Volksschulklasse untereinander wohl nicht so wirklich zusammengehalten und uns gegenseitig unser Leid geklagt oder über die Schwestern gelästert oder uns gegenseitig verteidigt haben, denke ich, lag wohl auch daran wie man uns präpariert hat. Die Nächstenliebe, das war immer für die Anderen, das war immer in der Theorie, aber wie es bei Kindern eben so ist, sie beginnen die Anschauungen und Kommentare der Erwachsenen zu kopieren, und so ist es kein Wunder, wenn Auszüge aus den donnernden Vorhaltungen und Predigten auf unsere Mitschülerinnen auch aus unseren Mündern niederprasselten.
Was jeder Pädagoge weiß und befolgt, ist, jedem Kind gleichwertig, offen und herzlich zu begegnen, gleich welcher Herkunft, welches familiären Backgrounds, jeglicher Begabung oder finanziellen Hintergrundes. Doch bei Schwester Edmunda wurde zum Beispiel Petra S. immer wieder deren (unbelegte) Faulheit vorgeworfen, und auch wiederholt deren – uns nicht bekannte – ältere Schwester lautstark kritisiert. Faul und dumm bist du, wie deine Schwester, die faule Urschel.
Allerdings wurde niemand von uns diskriminiert. Wir wurden alle gleich verabscheut und niedergemacht. Wir taugten alle nichts. Alle waren wir ein "Muster ohne Wert".

Eine derartige Einstellung gegenüber Anderen färbt naturgemäß irgendwie ab und entwickelte so auch ihre Eigendynamik.
Alexandra, deren Haar von Natur aus heller war als ihre Augenbrauen und Wimpern, wurde darum bald und oft von ihren Mitschülerinnen als "Hure" beschimpft, denn natürlich mussten die Wimpern wohl geschminkt sein, und Schminke, das wäre natürlich etwas für Huren, und somit säße Alexandra in der Todsündenfalle, schuldig im Sinne der Anklage ohne Prozess und Verteidigung.
Eine andere an den Haaren herbeigezogene Anschuldigung vor der man sich zu fürchten hatte war die Unterstellung, man sei verliebt in den Herrn Pfarrer. Der Herr Pfarrer, ein älterer Herr, den man – abseits von Messen und Beichten – nie zu Gesicht bekam, war das einzige männliche Wesen in den Untiefen der Klosterschule. Und naturgemäß ging von einem Exemplar des anderen Geschlechts eine Gefahr aus: dass man sich in seiner Sündigkeit verführt fühle, als das schlechte Wesen das man ist, erbsündig schwer vorbelastet, mit seinen sieben Jahren.

Was versteht man schon als Volksschulkind von solchen verdreht-abstrakten Begriffen. Was begeht man als Unter-Zehnjährige denn schon für Todsünden. Wie kommt man dazu, sich mit sechs Jahren vor der sicheren Verdammnis in der ewigen Hölle fürchten zu müssen, weil man statt katholisch evangelisch, also heidnisch, ist und deshalb vom Religionsunterricht ausgeschlossen und gerade mal in der Schule überhaupt geduldet wird (und jetzt sei gefälligst endlos dankbar dafür). Wer gibt einem das Recht, kleinen Schülerinnen das mittelalterliche Gedankengut und Gehabe der Inquisition einzupflanzen.
Nur die Harten kommen in den Garten?
Wie der Titel des damals im Eigenverlag erschienenen Buches über die Schulordensgeschichte lautete: "und der Same ging auf"

Einige harmlosere Abbildungen aus dem genannten Buch:

 "Einer der hellen Schulgänge"

"Unser Erziehungsprogramm"

Ja tatsächlich, ich besitze dieses Buch immer noch. Das Aufheben und Aufbewahren von Allem und Jedem ist eine meiner Eigenschaften – vielleicht bin ich auch nur ein notorischer Beweismittelsammler.

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