Samstag, 17. April 2010

Das Sonntags-Evangelium

Jeden Montag Nachmittag reservierte Schwester Edmunda eine Zeit, in der sie uns nach dem Evangelium des vergangenen Sonntags abfragte, um zu prüfen ob wir in der Sonntagsmesse gewesen waren und uns das Evangelium gemerkt hätten.

Obwohl mein Vater, selbst nur nach außen hin Katholik wie wahrscheinlich die Meisten, mich hin und wieder sonntags in die nahe kleine Kirche mitnahm, schleppte er mich vorzugsweise sonntags Wandern, zu diesen von bestimmten Wandervereinen organisierten abgesteckten Strecken irgendwo im tiefsten Niederösterreich; 20 Kilometer durch Wald und Pampa, das nahm inklusive Hin- und Rückfahrt schon einige Stunden von morgens bis mittags in Anspruch und duldete keine Widerrede.
So hatte ich keinen Einfluss auf meine Anwesenheit bei der Verlesung des Evangeliums – als ob ich ein persönliches Bedürfnis gehabt hätte, der Messe beizuwohnen, doch die Angst vor Schwester Edmundas montäglicher Abfrage war Grund genug, einen Kirchbesuch in Erwägung zu ziehen.

Aber nicht nur ich hatte Eltern, die das Kind zwar auf eine private katholische Volksschule schickte, in der Praxis aber nicht unbedingt mehr als Papier-Katholiken waren und einfach eine Schule ausgesucht hatten die nicht rein öffentlich war und daher ein höheres Bildungsniveau versprechen sollte.
Eine Andere die Montag Nachmittag zu zittern hatte ob Sr. Edmunda sie aufriefe, war meine Freundin Petra. Nachdem ich erfolglos abgefragt worden war und ich natürlich wahrheitsgemäß antwortete ich hätte nicht in die Kirche gehen können weil ich mit meinem Vater wandern musste (was die reinste Empörung bei Sr. Edmunda herbvorrief, doch nie klagte sie dies direkt bei meinem Vater an sondern machte mich selbst dafür verantwortlich), fand Petras Mutter den Clou, wie sie ihre Tochter vor dem Ärgernis und dennoch ihre sonntägliche Vormittagsruhe bewahren konnte.

So las sie am Wochenende sorgfältig die Tageszeitung, und ihrem Töchterlein die winzige Spalte vor, in der das Evangelium zum Sonntag abgedruckt war. Dies habe sich Petra lediglich zu merken, am Montag zu schwindeln (Todsünde Lüge!) und kurz den Inhalt nachzuerzählen.
Natürlich machte diese Kunde unter uns Schülerinnen die Runde, und montags scharte sich ein Grüppchen um Petra, um das Evangelium "abzuschauen". So machte sie aus ihrer Lügensünde ein gutes Werk, und half uns Anderen in unserer Not.
Auch wenn ihr Zeitungsevangelium bei Sr. Edmunda keinen Anklang fand, da diese behauptete diesen Sonntag wäre eine andere Episode Thema gewesen, kamen wir durch, denn schlau genug waren wir, als dass wir nicht glaubten dass in jeder Kirche das selbe Evangelium vorgetragen worden wäre. Man musste nur schnell genug Namen und Standort der angeblich besuchten Kirche parat haben, denn danach wurde man in Folge gefragt, und Sr. Edmunda konnte ja nicht alle Kirchen des Bezirks parallel besucht und abgehört haben.

Blut und Wasser schwitzten wir dennoch, denn die Art des Verhörs war nicht gerade angenehm, da wie immer mit kleinen Angriffen nach Art der Inquisition gespickt, sodass es mich nicht wundern würde, wenn selbst die die vor Ort dem "richtigen" Evangelium gelauscht hatten, es vor Angst und Schrecken wieder vergessen hätten.
Und so trieb die Klosterschwester uns statt in die Arme der Kirche und des Evangeliums in die Lüge und Verbrüderung im Verbotenen.
Für mich gelernt habe ich aus diesen Sonntagen einerseits die Fähigkeit, lange Strecken in raschem Schritt zu durchmessen, und andererseits, dass man nicht alles wissen muss, so lange man weiß, wo man alles was man wissen muss nachschlagen kann um es in Erfahrung zu bringen.
Und dass viel zu oft Anderer Wille geschehe, im Namen des Vaters, sei dahingestellt welches.

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